WDR-Logo Susanne guckt in die Kamera© WDR/Nina Poppe
9. November 2022

Arm trotz Arbeit – Frauen in der Krise

Frauen sind in Deutschland besonders stark von Armut betroffen. Schätzen Sie selbst, wie sich die Situation von Arbeitnehmerinnen in den letzten Jahren entwickelt hat.

Nach Angaben des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands galten 17,5 Prozent der Frauen im Jahr 2021 als armutsgefährdet. Bei Männern lag die Armutsgefährdungsquote bei 15,7 Prozent. Am 1. Oktober 2022 wurde der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland auf brutto 12 Euro pro Stunde angehoben. Ein Betrag, der trotz Erhöhung viele Menschen am Existenzminimum leben lässt. So auch Susanne Holtkotte, eine alleinstehende Reinigungskraft aus einem Bochumer Krankenhaus. Ihr stehen netto 1.360 Euro zur Verfügung – sie kommt mit dem Geld kaum hin.

Geringfügige Beschäftigung

Ähnlich wie Holtkotte übten im Jahr 2021 rund 788.300 Frauen Reinigungsberufe aus. Sie alle haben den größten Anteil innerhalb der geringfügig beschäftigten Frauen. Eine geringfügig entlohnte Beschäftigung liegt dann vor, wenn der Lohn im Monat 520 Euro brutto nicht übersteigt. Andere Frauen in dem Bereich arbeiten in Bürojobs (682.300), in Verkaufsberufen (562.100) oder Tourismus/Gastronomieberufen (422.700). Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit gab es zum 30. Juni 2021 rund 4,3 Millionen geringfügig beschäftigte Frauen.

Im Vergleich dazu arbeiteten die meisten der 3,1 Millionen geringfügig beschäftigten Männer im Bereich Verkehr/Logistik (388.800; Fahrzeugführung ausgenommen). Die zweitgrößte Gruppe machen Führer von Fahrzeug- und Transportgeräten (313.000) aus, gefolgt von Reinigungsberufen (275.200).

Laut Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichem Institut gilt jeder Mensch in Deutschland als arm, der weniger als 60 Prozent des bundesdurchschnittlichen Einkommens verdient. Für einen Einpersonenhaushalt wie Susanne Holtkotte ihn führt lag die Armutsgrenze 2020 bei 1.126 Euro.

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Auch Ulrike, freiberufliche Sängerin, gilt offiziell als arm. Das wissen die wenigsten.

Frauen verdienen weniger

Frauen sind nicht nur vermehrt geringfügig beschäftigt, sondern verdienen auch insgesamt weniger Geld als Männer. So erhielten Frauen 2021 laut Statistischem Bundesamt durchschnittlich 19,12 Euro pro Stunde. Das sind 4,08 Euro weniger als bei Männern.

Susanne Holtkotte muss mit ihrem geringen Einkommen nur sich selbst über die Runden bringen. Frauen mit Kindern sind häufig durch zusätzliche Care-Arbeit belastet und können teilweise nur in Teilzeit arbeiten. In Umfragen von Eurostat nannten 30,5 Prozent der befragten Frauen in Deutschland die Betreuung von Kindern und erwerbsunfähigen Erwachsenen als Hauptgrund für eine Teilzeitbeschäftigung. Bei Männern waren es lediglich 7,1 Prozent. 28,3 Prozent der Männer gaben an, aufgrund von Ausbildung und beruflicher Weiterbildung in Teilzeit zu arbeiten.

Besonders alleinerziehende Frauen erfahren eine Doppelbelastung durch Arbeit und Kinderbetreuung. Auch sie können teilweise nur Teilzeitbeschäftigungen nachgehen, wenn sie keine Unterstützung von außen bekommen. Laut Statistischem Bundesamt galten im Jahr 2021 circa 2,15 Millionen Mütter als alleinerziehend. Die Zahl der alleinerziehenden Väter ist mit 462.000 deutlich geringer.

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Janina ist alleinerziehende Mutter von zwei Kindern. Ihr Arbeit schafft sie oft nur mit Unterstützung von den Großeltern.

Aufgrund von zusätzlicher Care-Arbeit sank während der Corona-Pandemie die durchschnittliche Erwerbsarbeitszeit von Frauen. Nach Angaben der Hans-Böckler-Stiftung betrug die wöchentliche Arbeitszeit von Eltern mit betreuungsbedürftigen Kindern bei Frauen 31 Stunden und bei Männern 41 Stunden. Im April 2020 sanken die Arbeitszeit auf 24 Stunden bei Frauen und 36 bei Männern.

All diese Faktoren spielen in den so genannten „Gender Pay Gap“ hinein, der die Einkommensunterschiede zwischen den zwei Geschlechtern beschreibt. Entwicklungen zeigen, dass Frauen im Jahr 2021 18 Prozent weniger Lohn pro Stunde verdient haben als Männer, unverändert zum Vorjahr. Die Verdienstabstand zwischen den beiden Geschlechtern hat sich über die letzten 10 Jahre hinweg jedoch verringert. 2012 lag der „Gender Pay Gap“ noch bei 23 Prozent.

Problem Altersarmut

Die erheblichen Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern hören mit dem Eintritt in die Rente nicht auf. Im Gegenteil: Der „Pay Gap“ vergrößert sich. Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung lag 2021 die durchschnittliche Rente von Frauen bei etwa 832 Euro im Monat. Männer hingegen erhielten durchschnittlich 1.304 Euro. Demnach lag der Abstand bei den Renten bei etwa 36 Prozent.

Auch Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass bei 68 Prozent der Renterinnen das monatliche Nettoeinkommen unter 1.500 Euro liegt, bei Männern sich es lediglich 43,9 Prozent. All diese Angaben zeigen, dass Frauen auch im Alter stärker von Armut gefährdet sind als Männer.

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2018 war Reinigungskraft Susanne zu Gast bei „hart aber fair“.

Bereits 2018 begleitete der WDR in der TV-Reihe „Menschen hautnah“ vier berufstätige Frauen zwischen Arbeit, Alltag und Existenzsorgen. Ihre Situation damals: prekär. Nach der Veröffentlichung der Dokumentation stand besonders Susanne Holtkotte im medialen Fokus: Sie diskutierte 2018 in Frank Plasbergs Sendung „hart aber fair“, tauschte 2019 mit dem damaligen Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil für einen Tag die Arbeitsplätze und kämpfte für Lohnerhöhung und eine Grundrente. Doch trotz positiver Veränderungen, lebt Holtkotte aufgrund der Inflation nach wie vor am Existenzminimum – trotz Vollzeitjob. Holtkotte ist eine von vielen berufstätigen Frauen in Deutschland und nur ein Beispiel eines großen Systemproblems. Dieses Jahr stand ein zweiter Besuch bei drei der vier Frauen an.

Anmerkung: Eine Formulierung im ersten Absatz konnte den Eindruck erwecken, dass Frau Holtkotte zur Zeit 1.150 Euro verdient. Das haben wir angepasst.

Dokumentation in der Mediathek anschauen | video
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